Kleine Abhandlung zum Drechseln und Drehen.
Die meisten Interessierten werden bestimmt noch nicht bemerkt haben, dass das Drechslerhandwerk andere Begriffe benutzt, als es im allgemeinen Sprachgebrauch üblich ist. So ist beim Drechsler – also dem, der den Beruf des Drechslers erlernt hat – zumeist die Rede vom Drehen, der Drehbank, den Dreheisen und den Drehtechniken. Um die Automatenarbeit von der Handarbeit zu unterscheiden, spricht man in der Regel vom Handdrehen und Automatendrehen.
Warum sich aus den vielen verschiedenen Berufsbezeichnungen im deutschsprachigen Raum (Dreier, Drayer, Draxler, Drexler, Drechsler, Dreher) letztlich das Wort „Drechsler“ durchgesetzt hat, lässt sich meines Wissens nicht konkret nachvollziehen. Vermutlich basiert die Entstehung auf eine Welle der Standardisierung und Vereinheitlichung im 19. Jahrhundert im Zuge der Reichsgründung. Möglich auch, dass das vom Franzosen Charles Plumier 1701 in Paris publizierte Werk „L‘ art de Tourner“ in einer deutschen Übersetzung dieser Berufsbezeichnung Vorschub geleistet hat.
Irrtümlicherweise denkt der Laie beim Wort Drehen sogleich an das Automatendrehen oder das Metalldrehen. Sicher nicht falsch. Und doch ist es auch das Handdrehen des Drechslers, das schlichtweg als Drehen bezeichnet wird.
Schaut man in die moderne Drechslerliteratur und ins Internet, liest man fast ausschließlich vom Drechseln, der Drechselbank, den Drechselwerkzeugen und den Drechseltechniken. Geschrieben wird in erster Linie für den Freizeitdrechsler und bedient sich somit dessen Sprache.
Schaut man in die Fachbücher aus der Vorkriegszeit, die fast immer von Meistern der Drechslerzunft geschrieben wurden, ist fast ausschließlich vom Drehen die Rede. Früher gebräuchliche und heute kaum noch angewandte Techniken, wie das Längs- und Querpassigdrehen oder das Ovaldrehen sind mit dem Wort Drechseln nicht verknüpfbar.
Die Begriffe Drechseln und Drehen gab es gemeinsam nebeneinander bereits im Althochdeutschen. Eine von mir befragte Etymologin (Dr. Elisabeth Berner) führte dazu Folgendes aus:
„(…)Beide gehen auf die gleiche Wurzel zurück, wobei ‚Drechseln‘ neben dem ‚Drehen‘ als grundlegender Tätigkeit auch die Komponente ‚kunstvolles Bearbeiten‘, also eigentlich mehr Prestige besitzt.(…)“.
„(…)thrahslari (jeweils mit Querstrich über dem a = langes a) ist auf jeden Fall schon sicher zwischen 500 und 100 belegt und löst hier die noch ältere Bildung thrahsil ab. Die Differenzierung war im Barock auf jeden Fall abgeschlossen.(…)“
Ähnlich wird es vermutlich mit den verwandten Bezeichnungen gewesen sein. Wenn man den Begriff „Drehbank“ nimmt, denkt man zuerst an die Metallbearbeitung. Vergessen wurde jedoch, dass sich sowohl die Holz- als auch die Metalldrehbank aus ein und derselben Maschine entwickelt hat. Wichtiges Indiz dafür ist die identische Bezeichnung der wichtigsten Bauteile, wie Reitstock, Spindelstock, Drehbankbett. Sie weisen weiterhin darauf hin, dass diese Teile einmal aus Holz bestanden. Da Handwerk schon immer konservativ und traditionsbewusst war, haben sich diese alten Begriffe bis heute erhalten.
Beides ist also nicht falsch. Deutet man die Erkenntnisse aus den verschiedenen Quellen, steht also das Drehen für die typisch handwerkliche Tätigkeit. Diese zeichnet sich durch Tradition und allumfassende Kenntnisse und Fertigkeiten aus. Begriffe, Techniken, Werkzeuge und Hilfsmittel sind standardisiert. Kunden können sich im Umgang mit einem Drechsler oder Drechslermeister auf eine ganz bestimmte Bandbreite an Können verlassen.
Das Wort Drechseln wird massenwirksam
Eingesetzt wurde das Wort Drechseln vor allem in Abhebung vom gemeinen Drehen. Man musste dafür kein Handwerker sein, sondern wurde gleich zum Künstler oder Kunstdrechsler. Nach 1700 machten Nürnberger Drechsler das Handwerk hoffähig. Es war modern, sich der Kunst des Drechselns zu widmen. Man fühlte sich nicht an die engen Handwerksregularien gebunden. Kaiser, Päbste, Zaren – alle wurden sie zu Freizeitdrechslern. Mitte des 18. Jahrhunderts hatte diese Mode ihren Höhepunkt erreicht und zeichnete sich durch unzweckmäßige und überspitzte Drechsler-Kuriositäten aus, die schließlich zum gemeinsamen Einbruch von Hobby und Handwerk führte.
Das Drechslerhandwerk hat auch diese lange Zeit überlebt, obwohl viele alte Techniken über die Jahrzehnte der Unterforderung in Vergessenheit geraten sind. Durch das solide und weit gefächerte Wissen und Können konnten immer wieder Nischen ausgefüllt werden. Ein bekannter Vertreter der Zunft war Drechslermeister August Bebel, der in den gefährlichen Zeiten des Sozialistengesetzes neben seiner politischen Tätigkeit seine kleine Drechslerei am Laufen halten musste.
Gründerzeit- und Jugendstil bis um 1900 bescherten ein kurzzeitiges Aufleben des Drechslerhandwerks. Danach musste man sich mit Gebrauchsgegenständen, Möbelfüßen, Spulen oder auch Griffen für Handgranaten über Wasser halten. Erst ab den 70er Jahren erlebten Drechslerhandwerk als auch Freizeitdrechsler einen enormen Aufschwung.
Mittlerweile ist es wieder ruhig geworden. Sehr ruhig – zumindest im Handwerk.
Der Freizeitmarkt boomt mehr als je zuvor, ist er ja nicht auf Aufträge angewiesen und muss sich nicht um seine Existenz sorgen. Der Markt hat sich darauf eingestellt.
Um die Bezeichnungen Drechseln und Drehen einordnen zu können, bedurfte es dieses kleinen Ausfluges in die Geschichte.
Ich hoffe für unser schönes Gewerk, dass mit den Begriffen nicht auch das Handwerk selbst still und heimlich verschwindet…
Interessanter Link zum Thema: Entwicklung des Drechslerhandwerks im Strukturwandel des 20. Jahrhunderts in Ostwestfalen – eine Dissertation zum Thema (pdf)
Quellen:
Wolfgang Pfeifer: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 3 Bände, Akademie-Verlag 1989, 1.Band, S.304
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1860, 2. Band
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, Verlag S.Hirzel, Auflage: 38, 1999
Internetauftritt Verband des Deutschen Drechsler- und Holzspielzeugmacher-Handwerks e.V. http://www.drechslerverband.de/seite/32888/geschichte.html